Laudatio zur Eröffnung der Ausstellung „Im Zuge der Plötzlichkeit“
der Galerie Kunsthöfle Bad Cannstatt
gehalten von Rektor Martin R. Handschuh am Dienstag, dem 09.07.2024,
um 18.00 Uhr in der Karinthy Szalon Galerie in Ujbuda/Budapest
Sehr geehrter Herr Vizebürgermeister Barabás,
sehr geehrter Herr Kollege Bunsen,
liebe Freunde der Kunst,
meine sehr verehrten Damen, sehr geehrte Herren!
Eine große Ehre und zugleich eine besondere Freude bereitet es mir, heute hier das Wort an Sie richten zu
dürfen. Die Bedeutung des künstlerischen Austausches zwischen Ujbuda und Bad Cannstatt wird nicht nur
durch die ehrenvolle Anwesenheit des Herrn Vizebürgermeisters unterstrichen – die Zahl der Besucher und
Gäste dokumentiert das große Interesse an der langjährigen Partnerschaft.
Bevor ich nur einige Worte zu den beteiligten Künstlern und ihren Arbeiten sagen darf, möchte ich die
Gelegenheit nutzen, die besten Wünsche des Herrn Bezirksbürgermeisters von Bad Cannstatt, Bernd-
Marcel Löffler, der sehr bedauert, heute nicht zugegen sein zu können, zu übermitteln. Für ihn ist – wie für
die Delegation des Kunsthöfles – dieser lebendige Austausch von Kunstschaffenden und -freunden ein
wichtiger Aspekt im Miteinander der europäischen Völker und Nationen, ruft doch diese Erweiterung des
Horizontes die Erkenntnis der Tradition dieses gemeinsamen Kulturraumes stärker in Erinnerung.
„Im Zuge der Plötzlichkeit“ – der Titel dieser Werkschau nimmt Bezug einerseits auf das Unerwartete, auf
den glücklichen Moment, der den Künstler inspiriert, und andererseits auf das Wesen des Kunstwerkes,
einen – womöglich nur imaginierten – Augenblick festzuhalten, ihn der Zeitlichkeit zu entziehen.
In seinen ästhetischen Schriften, allen voran in „Plötzlichkeit. Zum Augenblick des ästhetischen Scheins“
von 1981 hat der Literaturwissenschaftler und Philosoph Karl Heinz Bohrer die Sprengkraft des
individualistischen Denkens außerhalb eines zeitlichen Kontinuums – unter Bezug auf Montaigne, Schlegel
und Nietzsche –ausschließlich im Gewand neuer Ausdrucksformen gesehen.
Und auch in Bildwerken ist das verblüffend Neuartige einer Idee oftmals untrennbar mit ihrem unerwarteten
Erscheinen verknüpft.
So sind die vegetabil geprägten Landschaften von Heike Renz zunächst durchaus gegenständlich
aufzufassen: so nimmt man etwa im Gegenlicht der einen wolkenzerklüfteten Himmel durchdringenden
Abendsonne hinter mannshohem Schilfgras die schimmernde Oberfläche eines Gewässers wahr, wähnt
sich als stiller Beobachter der Natur.
Auf den zweiten Blick wird – vermittels des starken Hell-Dunkel-Kontrastes – eine ambivalente Atmosphäre
spürbar, die irritiert, verunsichert, das Idyll der ersten Wahrnehmung subtil infrage stellt. Der Rhythmus der
Linien tritt immer stärker in den Vordergrund, das Wechselspiel aus Vereinzelung und Verdichtung führt in
eine andere Dimension der Bildbetrachtung. Erweist sich hier das Geschick der Künstlerin, als Gestalterin
zielgerichtet und gekonnt die Wirkung ihrer Arbeiten vorherzubestimmen?
Heike Renz, geboren 1967 im württembergischen Herrenberg, absolvierte nämlich nach Studien der
Kunsterziehung an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste Stuttgart ab 1991 zusätzlich ein Studium
in Textildesign an der Hochschule Reutlingen, das sie mit dem Diplom abschloss und daraufhin lange Jahre
als Textildesignerin tätig war. Seit rund zehn Jahren widmet sie sich wieder verstärkt der Malerei, beteiligt
sich rege an Ausstellungen und unterrichtet zudem im eigenen Atelier. Im Jahr 2023 hat sie von Prof. Dr.
Helge Bathelt den Vorsitz der „Galerie Kunsthöfle Bad Cannstatt“ übernommen und engagiert sich so im
Kunstgeschehen der Landeshauptstadt Stuttgart.
Doch zurück zu ihren Arbeiten: in diesem Zusammenhang möchte ich – in memoriam – Prof. Helge Bathelt
in seiner unnachahmlichen Formulierungskunst zitieren:
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„Überhaupt Natur. Sie muss nicht eine Urkraft ausdrücken wie bei Hackert, der Goethes Zeichenlehrer war.
Sie muss auch nicht einem Romantischen huldigen wie beim großartigen Caspar David Friedrich. Sie muss
auch nicht im Stofflichen triumphieren wie bei den Impressionisten. Auch als Folie für Gefühle wie bei den
jungen Vertretern der „Brücke“ an den Moritzburger Seen muss sie nicht dienen und ihre Reduktion auf ein
bloßes Additiv wie bei David Hockneys „Hollywood Garden“ ist nur eine Beschäftigung unter vielen.
Ein Desiderat unserer Zeit ist fraglos ein neues „Zurück zur Natur“ und dieses Desiderat wird bedient durch
Arbeiten, wie sie Heike Renz uns hierher mitgebracht hat. Ihre Naturbilder begnügen sich damit, den Klang
der Gräser zu transportieren und wer wollte es denn, dass uns dieser Klang verloren ginge?“
Hingegen die jüngst entstandenen Exponate stellen augenscheinlich die bildnerischen Mittel und ihre
Wirkmacht in den Vordergrund. Einer gegenständlichen Assoziation bedarf es hier nicht mehr, das Informel
bricht sich Bahn durch eine geschickte Paarung von kräftiger Farbigkeit und energischem Strich, was eine
ungeheure Vitalität vermittelt und dabei doch eine ansteckende Leichtigkeit ausstrahlt, die sich unmittelbar
auf den Betrachter überträgt. Hier haben wir sie, die Plötzlichkeit, die Freude, überrascht zu werden, und
zwar auf das Angenehmste.
In Ungarn, in Budapest, in Ujbuda und namentlich hier in der Galerie des Karinthy Szalons wahrlich kein
Unbekannter ist Prof. Frederick D. Bunsen. Er repräsentiert die Galerie Kunsthöfle bereits seit 2018 als deren
2. Vorsitzender und ist nunmehr verantwortlich für die partnerschaftlichen Verbindungen in internationalem
Kontext. Sein Werdegang prädestiniert ihn für diese Aufgabe:
1952 in El Paso, Texas, U.S.A. geboren, studierte er ab 1970 an der Oregon State University in Corvallis
Germanistik, Bildende Kunst und Kunstgeschichte sowie zusätzlich ab 1973 in Stuttgart an der Staatlichen
Akademie der bildenden Künste schwerpunktmäßig freie Grafik und Malerei sowie an der dortigen
Universität Germanistik und Kunstgeschichte. Er schloss diese Studien jeweils mit Auszeichnung in den
akademischen Graden B.A., B.Sc. und M.A. ab.
Seitdem ist er als freier Künstler erfolgreich – er hat schier unzählige Ausstellungen auch in internationalem
Kontext bestritten und sich hierbei hohe Anerkennung erworben. Als Galeriegründer, Ausstellungsmacher,
Verbandsfunktionär und als Dozent ist er seit Jahrzehnten aktiv; seine Expertise ist dabei weit über die
Landesgrenzen hinaus gefragt.
Eine besondere Beziehung verbindet ihn mit Ungarn und dessen hochzuschätzender Tradition in der
Druckgrafik: bereits seit den frühen Neunzigerjahren führten ihn künstlerische Austausche und
Studienaufenthalte vielfach hierher und vor allem nach Vác zu „Nalors Grafika“, wo die hier zu sehenden
Exponate, sämtlich handgedruckte Original-Lithografien, unter Mitwirkung des legendären Druckmeisters
István Szabó das Licht der Welt erblicken durften.
Im Laufe der Jahre hat Frederick Bunsen sich eine reiche Lehrerfahrung erworben, u.a. durch eine
mehrjährige Gastprofessur an der Universität Klausenburg in Rumänien, wobei ihn seine persönliche
Freundschaft und Zusammenarbeit mit dem Systemtheoretiker Niklas Luhmann prägt. Diese Denkansätze
spiegeln sich auch in seinem Werk wider, wobei die hier ausgestellten Arbeiten entschlossenen Duktus und
eine sensibel-vielschichtige Poetik vereinen und der Frage nach Zeit und Vergänglichkeit nachzuspüren
anregen.
In deutschen Kunstkreisen wird Bunsens temperamentvoller Umgang mit der Linie oft als der
„Bunsenstrich“ bezeichnet. Das heißt, sein Einsatz von Linie und Fläche offenbart gleichzeitig die große
Spontaneität und Emotionalität, mit denen sie einst auf der Bildfläche entstanden sind.
In seinen Bildfeldern kollidieren kraftvolle Linienbewegungen mit kompakten, dunkleren Farbflächen und
vermitteln dem Betrachter den Eindruck eines inneren Kampfes. Sein grundlegendes Gestaltungsprinzip
sieht die differenzierende Gegenüberstellung von Chaos und Logos vor. Neben ineinander verwobenen
Farben als Träger expressiver Spannungen verdichtet er seine Pinselstriche in Intervallen als rhythmische
Elemente des Bildraumes, was im systemischen Kontext (vgl. Niklas Luhmann) zur Essenz seiner Arbeit
kulminiert.
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Seit seiner Übersiedlung nach Deutschland Anfang der 1970er-Jahre ist diese künstlerische Form des
heutigen Existenzialismus zum persönlichen Markenzeichen des Künstlers geworden.
Bunsens Werk hat sich stets an abstrakte Reduktionen gehalten, die einen ästhetischen Ausdruck mit
tieferen Ebenen der räumlichen, wenn nicht gar geistigen Kontemplation ermöglichen.
Sie eröffnen damit – im Zuge der Plötzlichkeit ihres Impulses – Resonanzräume für
Transzendenzerfahrungen.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich abschließend namens der hier vertretenen Künstler und
namens der Galerie Kunsthöfle Bad Cannstatt, der ich in früheren Tagen als Schatzmeister gedient habe,
Dank sagen für die herzliche Gastfreundschaft, mit der wir hier aufgenommen worden sind, und Dank für
das große Interesse an dieser Werkschau. Es ist eine besondere Ehre und ein hoffnungsvolles Zeichen,
dass dieser partnerschaftliche Austausch in den ersten Tagen der EU-Ratspräsidentschaft Ungarns
stattfindet und damit die Begegnung und den Dialog von Menschen über Kunst und Kultur, einen zentralen
Gründungsimpuls der europäischen Gemeinschaft, fördert.
Haben Sie, Herr Vizebürgermeister, meine verehrten Damen und Herren, verbindlichen Dank für diesen
großherzigen Empfang – und für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit!